Interne Ermittlungen
Die Garantien des Strafverfahrens gelten nicht

Roxane Pedrazzini
(Übersetzt von DeepL)
Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die Mindestgarantien des Strafverfahrens im Rahmen interner Untersuchungen umzusetzen, so das Urteil 4A_368/2023 vom 19. Januar 2024.
Ein Angestellter arbeitet seit 2010 bei einer Bank. Im August 2018 zeigt eine Kollegin den Angestellten intern wegen sexueller Belästigung an, woraufhin eine interne Untersuchung eingeleitet wird. Nach Abschluss des Untersuchungsberichts kündigt die Bank den Arbeitsvertrag. Der Arbeitnehmer focht seine Kündigung an und machte geltend, dass diese missbräuchlich sei. Das Arbeitsgericht Zürich wies die Klage ab, während das Obergericht dem Arbeitnehmer Recht gab und die Bank zur Zahlung einer Entschädigung von CHF 70’000 verurteilte. Die Bank legt beim Bundesgericht Beschwerde ein.
Dieser Fall ermöglicht es dem Bundesgericht, sein Urteil 4A_694/2015 vom 4. Mai 2016 zu klären. Dieses hatte angedeutet, dass die Garantien des Strafverfahrens auf interne Untersuchungen eines Arbeitgebers anwendbar wären. Tatsächlich zitierte das Bundesgericht Lehrmeinungen, die zum Ausdruck brachten, dass der Arbeitgeber im Falle einer schweren Anschuldigung „eine umfassende Untersuchung durchführen muss, die für den angezeigten Arbeitnehmer Garantien beinhaltet, die denjenigen einer Strafuntersuchung gleichwertig sind […]“. Das Bundesgericht stellt nun ausdrücklich fest, dass es zu den topischen Lehrmeinungen nicht Stellung genommen hat und sich diesen auch nicht anschließen will. Die interne Untersuchung eines Arbeitgebers birgt nicht dieselben Sanktionsrisiken wie eine strafrechtliche Untersuchung, und die betreffenden Rechtsverhältnisse sind grundlegend verschieden. Es gibt daher keine Rechtfertigung dafür, von einem privaten Arbeitgeber zu verlangen, dass er im Rahmen einer internen Untersuchung die Mindestgarantien des Strafverfahrens beachtet.
Im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz, dass eine Kündigung ohne besonderen Grund möglich ist und nur der Missbrauch sanktioniert wird. Die Kündigung ist jedoch nicht allein deshalb missbräuchlich, weil sich die gegen einen Arbeitnehmer erhobene Anschuldigung als unbegründet erweist. Eine Kündigung ist jedoch missbräuchlich, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer leichtfertig und ohne angemessene Begründung beschuldigt. Die Anschuldigung muss somit auf ernsthaften Indizien beruhen und der Arbeitgeber muss alle erforderlichen Nachforschungen anstellen.
Zur Klärung des Sachverhalts im Hinblick auf eine mögliche Entlassung wird eine interne Untersuchung eingeleitet (vgl. auch Urteil 4A_245/2019, c. 4.2). Sie muss unter Beachtung der Pflicht zum Schutz der Persönlichkeit des beschuldigten und des anzeigenden Mitarbeiters (Art. 328 OR) und des daraus möglicherweise resultierenden Anspruchs auf rechtliches Gehör durchgeführt werden. Damit besteht de facto ein Interessenkonflikt zwischen dem Recht des beschuldigten Arbeitnehmers, seine Verteidigung effektiv vorzubereiten, und dem Recht des anzeigenden Arbeitnehmers, eine sichere Aussage zu machen.
Im vorliegenden Fall wurden dem Angestellten mehrere Berührungen bei einer internen Veranstaltung im November 2017 sowie bei anderen Gelegenheiten vorgeworfen. Der Angestellte wurde auch zu einigen seiner Kommentare gegenüber Mitarbeiterinnen befragt, insbesondere zu ihren privaten und sexuellen Beziehungen und seinen Erwartungen an ihren Kleidungsstil. Das Bundesgericht hält somit fest, dass die Anschuldigungen hinreichend konkret waren.
Das Bundesgericht ist der Ansicht, dass die Bank umfangreiche Untersuchungshandlungen vorgenommen hat. Die Bank hörte den beschuldigten Angestellten und einige seiner Kollegen an und untersuchte einen Teil des E-Mail-Verkehrs zwischen dem beschuldigten Angestellten und der Angestellten, die den Vorfall angezeigt hatte. Der beschuldigte Angestellte hatte zudem die Möglichkeit, nach seiner Anhörung Änderungen am Protokoll vorzunehmen. Die Bank erstellte auf der Grundlage der belastenden und entlastenden Elemente einen Untersuchungsbericht und legte ihn einem internen Disziplinarausschuss vor. Somit war die Entlassung nicht leichtfertig ausgesprochen worden.
Darüber hinaus reicht laut Bundesgericht die Verletzung einer internen Richtlinie, die im vorliegenden Fall das Recht auf Begleitung durch eine Vertrauensperson vorsieht, nicht aus, um eine missbräuchliche Kündigung zu begründen. Diese Schlussfolgerung scheint von den Umständen des vorliegenden Falles geleitet zu sein, insbesondere von der Tatsache, dass der Arbeitnehmer das Protokoll seiner Anhörung ändern konnte und gegebenenfalls den Rat einer Drittperson in diesem Rahmen oder eine neue Anhörung in Begleitung hätte beantragen können, was er nicht tat. Dieser Mangel wurde daher vom Bundesgericht nicht als schwerwiegend eingestuft. Die Entlassung war somit nicht missbräuchlich.
Dieses Urteil ermöglicht es, den Ablauf einer internen Untersuchung, manchmal auch a contrario, zu präzisieren, deren Schritte wie folgt zusammengefasst werden können :
- Der Arbeitgeber leitet eine interne Untersuchung ein und beauftragt einen bestimmten Kreis von Personen innerhalb oder außerhalb des Unternehmens mit der Untersuchung.
- Die mit der Untersuchung beauftragte Gruppe lädt den beschuldigten Arbeitnehmer zu einer Anhörung vor. Es ist nicht verpflichtet, ihn vorab über die Einleitung der internen Untersuchung und die vorgeworfenen Taten zu informieren.
- Zu Beginn der Anhörung des beschuldigten Beschäftigten schildert das beauftragte Team die Vorwürfe in groben Zügen, wobei eine Zusammenfassung der Ereignisse mit konkreten Einzelbeispielen ausreicht. Der beschuldigte Mitarbeiter hat kein Recht darauf, die Identität des Mitarbeiters zu erfahren, der den Vorfall gemeldet hat. Hingegen hat er das Recht, sich bei seiner Anhörung zu den Vorwürfen zu äußern und später Beweismaterial in die Untersuchung einzubringen.
- Die beteiligten Angestellten haben kein Recht auf direkte Konfrontation, auch nicht im Falle widersprüchlicher Aussagen.
- Der/die Beschäftigte kann nicht verlangen, dass er/sie bei der Anhörung von einer Vertrauensperson begleitet wird.
- Das Untersuchungsteam kann je nach den konkreten Umständen weitere Untersuchungshandlungen vornehmen, insbesondere Zeugen vernehmen oder Dokumente (z.B. E-Mail-Korrespondenz) beschaffen, sofern dies im Einklang mit Art. 328b OR und dem DSG steht.
- Das zuständige Team hält die Aussagen der befragten Angestellten in einem Protokoll fest. Diese können es später noch einmal lesen und gegebenenfalls ändern.
- Das beauftragte Team verfasst einen Untersuchungsbericht, der den Verlauf der Untersuchung, die ermittelten Fakten und die Empfehlungen an den Arbeitgeber (Disziplinar- und/oder Reorganisationsmassnahmen) detailliert beschreibt. Der Untersuchungsbericht soll insbesondere belegen, dass der Arbeitgeber alle notwendigen Abklärungen getroffen hat und dass die Untersuchung im Einklang mit Art. 328 OR durchgeführt wurde.
Wenn der verfahrensrechtliche Rahmen der internen Untersuchung in einer internen Richtlinie konkretisiert wird, sollten die Regeln angesichts dieser neuen Rechtsprechung nicht zu starr sein, auch um den Weg für eine Anfechtung der Entlassung bei Nichteinhaltung dieser Regeln zu ebnen.