Steuerliche Amtshilfe
Der Anwalt, seine Verschwiegenheitspflicht und seine Bankunterlagen

Joël Pahud
(Übersetzt von DeepL)
Die Bankkonten eines Anwalts können Informationen enthalten, die durch das Anwaltsgeheimnis geschützt sind und im Rahmen der Amtshilfe in Steuersachen nicht an einen ausländischen Staat weitergegeben werden dürfen. Dies ist bei einem mit dem Formular R eröffneten Kundenkonto davon auszugehen, aber auch andere Konten des Anwalts können geschützte Informationen enthalten. Dies sind die Grundsätze, die das Bundesgericht in einem Urteil 2C_116/2023 vom 2. Mai 2025 (Veröffentlichung im BGE vorgesehen) festgelegt hat, wobei es sich von der Auffassung der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) distanziert hat, wonach das Anwaltsgeheimnis sich nicht auf von einer Bank übermittelte Dokumente erstreckt.
Im Jahr 2019 richtete die französische Steuerbehörde Amtshilfeersuchen an die ESTV, die sich auf das Ehepaar A und B bezogen und auf der Informationsaustauschklausel im Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich (DBA CH-FR) beruhten. Dem Ersuchen zufolge soll A, der in Frankreich als Rechtsanwalt tätig war, insbesondere Schecks auf nicht deklarierte Konten in der Schweiz eingelöst haben.
Die ESTV leistete Amtshilfe und stellte hinsichtlich des Anwaltsgeheimnisses fest, dass A sich nicht darauf berufen könne, um der Übermittlung von Informationen zu widersprechen. Das Geheimnis schütze nicht die Dokumente, die sich im Besitz einer Bank befänden.
Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 8. Februar 2023, A-3906/2020) und anschliessend das Bundesgericht in dem kommentierten Urteil teilen diese Auslegung nicht.
Das Bundesgericht stellt zunächst fest, dass Art. 28 Abs. 3 lit. c DBA CH-FR, der sich an Art. 26 Abs. 3 lit. c des Musterabkommens der OECD über Einkommen und Vermögen orientiert, dem ersuchten Staat insbesondere erlaubt, den Austausch von Informationen zu verweigern, wenn diese ein Berufsgeheimnis offenbaren würden. Diese Vertragsbestimmung zielt insbesondere auf das Berufsgeheimnis von Rechtsanwälten ab, dessen Anwendungsbereich durch das innerstaatliche Recht festgelegt ist. Gemäss dem OECD-Kommentar (Nr. 19.3 zu Art. 26) muss sich das innerstaatliche Recht jedoch auf eine « enge » Definition beschränken, und das Berufsgeheimnis darf nicht missbräuchlich geltend gemacht werden.
Das Bundesgericht weist sodann darauf hin, dass das Anwaltsgeheimnis nach schweizerischem Recht nur Informationen umfasst, die im Rahmen der typischen Tätigkeit des Anwalts erlangt wurden, wobei dieser Begriff in der Rechtsprechung ausführlich geklärt ist. Das Geheimnis umfasst unter anderem die bloße Existenz des Mandats sowie die Honorare. Somit können die Bankkonten eines Anwalts Informationen enthalten, die durch das Anwaltsgeheimnis geschützt sind.
In diesem Zusammenhang unterscheidet das Bundesgericht zwei Arten von Konten. Zum einen gibt es das Bankkonto, das der Anwalt mit dem Formular R eröffnet, um seiner Pflicht zur Trennung der ihm von seinen Mandanten anvertrauten Vermögenswerte nachzukommen (Art. 12 lit. h LLCA). Ein solches Konto enthält a priori nur Informationen, die durch das Berufsgeheimnis geschützt sind. Nach Ansicht des Bundesgerichts ist davon auszugehen, dass ein Anwalt das mit dem Formular R eröffnete Bankkonto zweckkonform verwendet. Diese Vermutung ist widerlegbar.
Andererseits kann der Anwalt weitere Bankkonten unterhalten. Diese fallen nicht unter die oben genannte Vermutung, sind jedoch dennoch vom Anwaltsgeheimnis geschützt, wenn sie Informationen enthalten, die zu seiner typischen Tätigkeit gehören, beispielsweise Namen von Kunden in Bankauszügen im Zusammenhang mit der Zahlung von Honoraren.
Schliesslich prüft das Bundesgericht, inwieweit sich ein von einem Amtshilfeverfahren betroffener Anwalt unter Berufung auf sein Berufsgeheimnis der Übermittlung seiner Bankunterlagen an die ersuchende Behörde widersetzen kann.
Da das Gesetz über die Amtshilfe in Steuersachen (AHSG) keine ausdrückliche Regelung zu diesem Punkt enthält und sein Art. 8 Abs. 6 nur den Fall betrifft, dass sich die angeforderten Unterlagen im Besitz des Anwalts befinden, kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass sich der Anwalt dennoch auf sein Berufsgeheimnis berufen kann. Als betroffene Person (Art. 3 lit. a LAAF) hat der Anwalt das Recht, am Verfahren teilzunehmen und die Akten einzusehen (Art. 15 Abs. 1 LAAF) ; er kann daher in diesem Rahmen gegenüber der ESTV geltend machen, dass die in den beschafften Bankunterlagen enthaltenen Auskünfte durch sein Berufsgeheimnis geschützt sind. Ist dies der Fall, muss die ESTV dafür sorgen, dass diese Informationen nicht an die ersuchende Behörde weitergeleitet werden.
Im vorliegenden Fall stellt das Bundesgericht fest, dass das mit dem Formular R eröffnete Konto im Wesentlichen dazu diente, anonyme Schecks einzulösen, « was mit einer zweckkonformen Verwendung dieses Kontos kaum vereinbar ist und die Vermutung widerlegt, dass alle darin enthaltenen Informationen dem Berufsgeheimnis unterliegen ». Die Namen der (natürlichen oder juristischen) Personen, die auf den Kontoauszügen erscheinen, bleiben hingegen vermutlich vom Berufsgeheimnis geschützt und müssen daher geschwärzt werden.
Wie das Bundesgericht feststellt, sind die in dieser Rechtsprechung angenommenen Grundsätze dadurch begründet, dass das Anwaltsgeheimnis nicht nur das Interesse des Mandanten schützt, sondern auch ein öffentliches Interesse hat, das in der Wahrung der Rechtsordnung, in der der Anwalt eine besondere Rolle spielt, und im Zugang zur Justiz besteht. Das Bundesgericht stützt sich zudem auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil Brito Bexiga Villa-Nova gegen Portugal vom 1. Dezember 2015, Beschwerde Nr. 69436/10).
Unserer Ansicht nach ist diese Rechtsprechung auch wegen ihrer Kohärenz mit den eidgenössischen Prozessordnungen zu begrüßen, da diese die dem Anwaltsgeheimnis unterliegenden Informationen unabhängig davon schützen, wo sie sich befinden (Art. 264 Abs. 1 StPO) bzw. wer sie besitzt (Dritter oder Partei ; Art. 160 Abs. 1 lit. b ZPO).
Schließlich ist anzumerken, dass diese Rechtsprechung uneingeschränkt auf Bankkonten von Notaren anwendbar sein dürfte (vgl. Etienne Jeandin, La profession de notaire, 2. Auflage 2023, S. 121 f.).