Amtshilfe in Steuersachen
Ernsthafte Zweifel an der Identität der betroffenen Person

Fabien Liégeois
(Übersetzt von DeepL)
Indien richtet ein Amtshilfeersuchen an die Schweiz. Das Ersuchen betrifft offenbar Alain. Dieser hat seinen Vater (den verstorbenen Denis) verloren. Dieser Umstand wird zu Verwirrung führen : Interessiert sich Indien für Alain oder für die Erbengemeinschaft des verstorbenen Denis ? Bevor wir dieser Frage nachgehen, stellen wir fest, dass in der Schweiz drei Bankkonten als relevant identifiziert wurden.
- Alain und der verstorbene Denis waren Mitinhaber des Kontos Nummer 1.
- Die Firma „C.“ ist Inhaberin des Kontos Nummer 2, an dem Alain wirtschaftlich berechtigt ist.
- Der Trust „G.“ ist Inhaber des Kontos Nummer 3, der verstorbene Denis war der Settlor, Alain einer der Begünstigten.
Zunächst sei angemerkt, dass sich das Bundesgericht in dem uns beschäftigenden Urteil (2C_901/2020 und 2C_903/2020 vom 5. November 2021) auf den „wirtschaftlich Berechtigten“ der Konten bezieht, was zweifellos auf das englische Wort beneficial owner zurückzuführen ist. Bei der Identifizierung des Steuerpflichtigen bevorzugen wir den Begriff „wirtschaftlicher Eigentümer“, um Verwechslungen mit dem Begriff „effektiver Empfänger“ zu vermeiden, der sich auf die Zuweisung des Einkommens bezieht. Diese terminologische Anmerkung hat keinen Einfluss auf die Beilegung des Rechtsstreits. Kommen wir darauf zurück.
Die Klage, die man wohl als zweideutig bezeichnen muss, führt zu einem turbulenten Verfahren : Die ESTV erlässt eine erste endgültige Entscheidung zugunsten Indiens (i), die sie widerrufen wird (ii), bevor sie ihren Widerruf widerruft (iii). Alain besteht darauf, dass gegen ihn in Indien keine Steuerprüfung eingeleitet wurde. Kurz gesagt, es gibt zwei Möglichkeiten :
- Entweder ist er von der Anfrage betroffen, und in diesem Fall verstößt sie gegen das Subsidiaritätsprinzip.
- Oder die Anfrage betrifft die Erbengemeinschaft des verstorbenen Denis, und in diesem Fall verstößt sie gegen das Recht der Erben auf Anhörung.
Vor dem BVGer legen Alain und Konsorten ein Urteil des indischen Income Tax Appellate Tribunal vor, aus dem hervorgeht, dass die Anfrage tatsächlich die Erbengemeinschaft des verstorbenen Denis betrifft. Dieses Urteil wurde nach der dritten endgültigen Entscheidung der ESTV erlassen. Das BVGer prüft daher dieses neue Dokument, das es mit der Klage in Verbindung bringt, um sich davon zu überzeugen, dass Indien die Erben im Visier hat. Es nimmt dann eine Substitution der betroffenen Person vor, bevor es feststellt, dass nur die Informationen, die einen Bezug zur Erbschaft des verstorbenen Denis aufweisen, die Voraussetzung der wahrscheinlichen Relevanz erfüllen. Die Klage wird teilweise zugelassen.
Weder Alain (und Konsorten) noch die ESTV sind mit dieser Entscheidung zufrieden. Sie legen beim BGer Berufung ein, das anerkennt, dass der Rechtsstreit eine Grundsatzfrage aufwirft. Das Problem besteht darin, ob das BVGer, nachdem es die Identität der von der Anfrage betroffenen Person in Frage gestellt hat, diese durch eine andere ersetzen kann, ohne ihr Recht auf Anhörung zu verletzen.
In formaler Hinsicht wird davon ausgegangen, dass der ersuchende Staat, der die im DBA aufgeführten Anforderungen erfüllt (Art. 26 DBA CH-IN cum Ziff. 10 des Protokolls), ausreichende Informationen vorgelegt hat. Konkret muss die Person, auf die sich das Ersuchen bezieht, insbesondere die Person sein, gegen die im ersuchenden Staat ermittelt wird. Der ersuchende Staat muss diese Information liefern, wenn er die Gegenpartei um Rechtshilfe ersucht, da ein Amtshilfeersuchen, das sich gegen eine Person richtet, gegen die keine solche Ermittlung oder Kontrolle durchgeführt wird, eine verbotene Informationsbeschaffung darstellen würde.
Mit anderen Worten : Die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips konkretisiert das Verbot von Fishing Expeditions.
Wir wissen, dass der ersuchende Staat als gutgläubig gilt, wenn er die Identität der Person angibt, die Gegenstand einer Kontrolle ist. Der Vertrauensgrundsatz schließt jedoch nicht aus, dass der ersuchte Staat im Falle ernsthafter Zweifel um Klarstellung ersucht. Um einen solchen Zweifel zu wecken, ist die Behauptung der betroffenen Person notwendig, aber nicht ausreichend : Sie muss genaue und überzeugende Erklärungen liefern und ihre Behauptungen durch Unterlagen belegen.
Besteht trotz der Aufforderung zur Klarstellung weiterhin ein ernsthafter Zweifel, muss der Antrag abgelehnt werden. Eine Ersetzung betroffener Personen im Laufe des Verfahrens ist nicht denkbar, um die umfassenden Verfahrensrechte der neuen Partei zu wahren.
In casu bezieht sich das indische Urteil auf denselben Sachverhalt wie der Antrag, stellt das Bundesgericht fest. Dieses Urteil gibt den indischen Behörden in der Frage der Identität der vom Steuerverfahren betroffenen Person Unrecht. Indien bezeichnete Alain zwar als gesetzlichen Erben des verstorbenen Denis, gab in seinem Antrag jedoch seltsamerweise die indische Steueridentifikationsnummer der Erbengemeinschaft des verstorbenen Denis an. Diese Elemente sind geeignet, ernsthafte Zweifel an der Identität der betroffenen Person aufkommen zu lassen.
Das Bundesgericht urteilt somit, dass einerseits die Beschwerde der ESTV teilweise begründet ist, da diese dem BVGer vorwirft, die Identität der von der Anfrage betroffenen Person geändert und die Übermittlung an die ersuchende Behörde auf die Informationen bezüglich der Erbengemeinschaft des verstorbenen Denis beschränkt zu haben. Andererseits urteilt er, dass Alain’s Berufung teilweise begründet ist, da er dem BVGer vorwirft, die Übermittlung von Informationen über die Erbschaft des verstorbenen Denis zugelassen zu haben, ohne dass diese sich dazu äußern konnte.
Aus dieser neuen Grundsatzentscheidung sind folgende Elemente zu beachten.
- Bestehen ernsthafte Zweifel an der Identität der betroffenen Person, muss die ESTV oder das BVGer die ersuchende Behörde um Klärung bitten.
- Weder die ESTV noch das BVGer dürfen eine Substitution der betroffenen Personen vornehmen.
- Bestehen trotz der Klärung ernsthafte Zweifel, muss das Ersuchen abgelehnt werden. Dies zwingt den ersuchenden Staat, ein neues Ersuchen zu stellen.
In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass der Wohnsitzstaat sich an die Schweiz wendet, bevor er den von ihm anvisierten Steuerzahler befragt hat. Diese Eile (oder diese taktische Entscheidung) ist bedauerlich. Die Erklärung zur Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips ist keine reine Formalität. Die Amtshilfe zielt darauf ab, die im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Mittel zur Informationsbeschaffung zu erweitern, nicht sie zu ersetzen.