Schweizer Börse
Neues Recht der Ad-hoc-Publizität : Vernunft und Sensibilität

Rashid Bahar
(Übersetzt von DeepL)
SIX Exchange Regulation AG, die Regulierungs- und Aufsichtsbehörde der Börse SIX Swiss Exchange, hat eine Änderung der Börsenordnung (BO), der Richtlinie betreffend Ad-hoc-Publizität (RLAhP) und der Richtlinie betreffend Informationen zur Corporate Governance (RLCG) für Ad-hoc-Publizität angekündigt, die am 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten wird.
Diese Überarbeitung führt eine Verpflichtung zur Kennzeichnung von Ad-hoc-Mitteilungen als solche ein („Flagging“). Sie ändert die Definition von kursrelevanten Tatsachen dahingehend, dass ein Verweis auf den sachverständigen Marktteilnehmer aufgenommen und die Praxis der als erheblich kursrelevant geltenden Tatsachen abgeschafft wird, vorbehaltlich der Bekanntgabe von Jahres- und Zwischenergebnissen. Sie führt auch eine ausdrückliche Verpflichtung ein, „angemessene und klare interne Regeln und Prozesse“ anzuwenden, um die Vertraulichkeit von kursrelevanten Tatsachen zu gewährleisten, wenn ein Emittent beschließt, eine Bekanntgabe zu verzögern. Schließlich muss der Corporate-Governance-Bericht die allgemeinen Handelssperrzeiten (quiet periods) angeben, vorbehaltlich der Anwendung der Regel „comply or explain“ (Art. 7 DCG).
„Flagging“
Bisher war das Schweizer Recht zur Ad-hoc-Publizität Teil der laufenden Beziehungen zu den Investoren. Zwar waren die Emittenten verpflichtet, Ad-hoc-Mitteilungen zu machen und mussten sich dabei an die im KR und in der RLCAP vorgesehenen Modalitäten halten, aber es war nicht notwendig, zwischen einer gewöhnlichen Pressemitteilung und einer Ad-hoc-Mitteilung zu unterscheiden. Nach der neuen Regelung müssen die Emittenten feststellen, ob ihre Mitteilung als Werbung gilt oder nicht, und auf der Mitteilung den Vermerk „Ad-hoc-Mitteilung gemäß Art. 53 KR“ (Art. 53 Abs. 2bis KR) zu versehen und es den Anlegern zu ermöglichen, auf ihrer Website die in diesem Zusammenhang erfolgten Meldungen der letzten drei Jahre chronologisch zu filtern (Art. 9 Abs. 1 DPE), wodurch die Aufbewahrungsfrist um ein Jahr verlängert wird. Mit der fortschreitenden Digitalisierung müssen Emittenten von börsenkotierten Beteiligungsrechten ab dem 1. Oktober 2021 die Meldeplattform « Connexor Reporting » nutzen, um ihre Meldungen an SIX Exchange Regulation AG zu übermitteln. Andere Emittenten können weiterhin andere Kanäle nutzen.
Diese Maßnahme wird die Transparenz auf den Märkten erhöhen und die Arbeit der Anleger erleichtern, die diese Signale nutzen werden, um kursrelevante Ereignisse von anderen zu unterscheiden. Dadurch wird den Emittenten durch die Revision eine schwere Last auferlegt, da sie sich nicht nur gegenüber der Börse, sondern auch – indirekt – gegenüber dem Markt beurteilen lassen müssen, der nun in der Lage sein muss, Ad-hoc-Mitteilungen von anderen zu unterscheiden. Art. 4 Abs. 3 DPE mildert jedoch die Belastung, indem den Emittenten ein legitimes Ermessen zuerkannt wird, das sie unter Beachtung der internen Regeln zur Kompetenzverteilung innerhalb des Unternehmens ausüben können. Daraus ergibt sich ein Ermessensspielraum für die Emittenten, die im Übrigen unter Beachtung des Gesetzes, der Satzung, der Geschäftsordnung und der Kompetenzverteilung ganz allgemein die Entscheidung über die Frage delegieren können. Das Rundschreiben Nr. 1 des Issuers Committee ist jedoch eindeutig : Der Missbrauch von Ad-hoc-Mitteilungen zu Marketingzwecken ist nicht zulässig und wird sanktioniert.
Änderungen der Definition von kursrelevanten Tatsachen
Im Wesentlichen wird die Definition in drei Punkten überarbeitet : Erstens, um künftig „kursrelevante Tatsachen“ und nicht mehr „Tatsachen, die einen Einfluss auf den Kurs haben könnten“ zu bezeichnen. Gemäß Rundschreiben Nr. 1 des Issuers Committee, das als Begründung dient, handelt es sich um eine rein terminologische Änderung ohne materiellen Einfluss auf den Begriff, da der Begriff „Einfluss“ bereits ein Element der Möglichkeit enthält, was im Übrigen eher auf die in anderen Sprachen verwendeten Begriffe zutrifft (influence, sensitive).
Im Grunde geht es also nach wie vor darum, im Voraus zu beurteilen, ob ein im Tätigkeitsbereich des Unternehmens eingetretener Umstand geeignet ist, eine erhebliche Kursänderung herbeizuführen. In Anlehnung an die Rechtsprechung zum Insiderhandel im Sinne von Art. 2 lit. j FinfraG erklärt das Rundschreiben Nr. 1, dass es sich dabei um eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit handelt, dass der Umstand zu einer erheblichen Kursveränderung, d. h. zu Kursschwankungen, die deutlich über dem Durchschnitt liegen, führen wird. Dieser Begriff bezieht sich also nicht auf die Schwankungsbreite in absoluten oder prozentualen Zahlen (Rundschreiben Nr. 1, Ziff. 8 ; siehe auch BGE 145 IV 407, E. 3.4.1), sondern ist im Vergleich zur Kursvolatilität zu sehen. Es handelt sich also um eine Übung, bei der es darum geht, festzustellen, ob die Veränderung im statistischen Sinne signifikant ist, ohne dass klar ist, ob eine deutlich überdurchschnittliche Schwankung außerhalb des aus der historischen Kursvolatilität abgeleiteten 95- %- oder 99- %-Konfidenzintervalls liegt.
Zweitens wurde auch die Definition geändert, um den Begriff „durchschnittlicher Marktteilnehmer“ durch den Begriff „verständiger Marktteilnehmer“ (reasonable market participant auf Englisch) zu ersetzen. Es handelt sich hier in Wirklichkeit um einen verständigen Marktteilnehmer, wie der deutsche und englische Text nahelegen, wie übrigens auch das europäische Recht, das Insiderinformationen definiert, indem es sich auf Informationen bezieht, die ein verständiger Anleger (reasonable investor, verständiger Investor) als Teil seiner Investitionsentscheidungen nutzen könnte (Art. 7 (4) der Verordnung über Marktmissbrauch). Dieser Marktteilnehmer entspricht somit einer normativen Definition eines Anlegers, der mit dem Wertpapierhandel, dem Gesellschaftsrecht und den Gepflogenheiten des Finanzmarktes vertraut ist, aber keine besonderen Kenntnisse besitzt und kein qualifizierter Anleger ist (Rundschreiben Nr. 1, Ziff. 9). Es handelt sich jedoch um mehr als eine Angleichung an das europäische Recht, denn dadurch nähert sich das schweizerische Ad-hoc-Publizitätsrecht dem Insiderrecht an, obwohl es anders verankert ist, das eine in der Selbstregulierung der Börsen und das andere im FinfraG. Dies geschieht in Anlehnung an die europäische Marktmissbrauchsverordnung, die Ad-hoc-Publizität als Mittel zur Bekämpfung von Marktmissbrauch versteht.
Drittens kehrt Art. 4 Abs. 2 RLVM die bisherige Praxis in Bezug auf kursrelevante Tatsachen um, insbesondere das Postulat, dass Veränderungen im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung als kursrelevant gelten (cdbf.ch/546/). Künftig muss im Allgemeinen von Fall zu Fall beurteilt werden, ob der Sachverhalt einen erheblichen Einfluss auf die Kurse hat, mit Ausnahme der Veröffentlichung von Geschäftsberichten und Zwischenberichten, die weiterhin als kursrelevant gelten. Obwohl diese Änderung ein Faktor der Rechtsunsicherheit für die Emittenten ist, handelt es sich insgesamt um eine willkommene Veränderung, die den Lärm auf den Märkten verringern und das Risiko technischer Fehler im Zusammenhang mit der Ankündigung von personellen Veränderungen ohne wirkliche Auswirkungen auf die Kurse reduzieren wird.
Interne Regeln und Prozesse
Der dritte Teil der Überarbeitung betrifft die ausdrückliche Verpflichtung zur Anwendung „angemessener und klarer interner Regeln und Prozesse“, um die Vertraulichkeit kursrelevanter Tatsachen zu gewährleisten, wenn ein Emittent beschließt, eine Bekanntgabe aufzuschieben (Art. 54 Abs. 2 KR). Von nun an müssen die Emittenten nicht nur die Vertraulichkeit kursrelevanter Tatsachen gewährleisten, sondern zu diesem Zweck auch geeignete und klare interne Regeln und Prozesse einführen. Art. 54 Abs. 2 KR nähert sich dem anerkannten Safe-Harbor für die Offenlegung von Insiderinformationen gemäß Art. 128 MiFIR an und verpflichtet die Emittenten, konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Zwar bleibt den Emittenten die Organisationsfreiheit erhalten. Die Erwartungen sind jedoch klar und die bewährten Praktiken teilweise im Rundschreiben Nr. 1 des Issuers Committee beschrieben, das Folgendes vorsieht : „Zu den bewährten Praktiken zur Gewährleistung der Vertraulichkeit kursrelevanter Tatsachen gehören insbesondere : i) möglichst geringe Anzahl von Informationsinhabern („need to know“-Prinzip) ; ii) Beschränkung und Sicherung des Zugangs zu Informationen ; iii) Vertraulichkeitserklärungen aller Informationsinhaber, intern wie extern (z. B. Berater) ; und iv) Führung einer Insiderliste.“
Mit anderen Worten : Die Überarbeitung geht noch nicht so weit, den Emittenten die Verpflichtung aufzuerlegen, eine Insiderliste zu führen, wie in Artikel 18 der EU-Marktmissbrauchsverordnung vorgesehen, aber sie ist auf dem besten Weg dazu. Ein Emittent, der sich gegen die Führung einer Insiderliste entscheidet, muss angesichts dieser Mitteilung damit rechnen, dass er Erklärungen abgeben muss und nachweisen muss, dass er eine bewusste Entscheidung in diesem Sinne getroffen hat und dass andere Maßnahmen zur Wahrung der Vertraulichkeit besser geeignet waren. Übrigens scheint mir, dass ein Emittent, der so vorgeht, im Recht sein dürfte, da das Führen einer Insiderliste in erster Linie darauf abzielt, den Kreis der Insider im Falle einer Informationsleckage oder eines Insidergeschäfts rekonstruieren zu können, und nicht darauf, die Vertraulichkeit durch die Begrenzung der Größe dieses Kreises zu gewährleisten. Obwohl es sich um ein weit verbreitetes Instrument handelt, ist es daher kein geeignetes Mittel zur Gewährleistung der Vertraulichkeit.
Veröffentlichung der Sperrfristen
Die letzte Änderung betrifft die DCG, die nun von den Emittenten verlangt, in ihrem Corporate-Governance-Bericht die allgemeinen Sperrfristen für den Handel im abgelaufenen Geschäftsjahr mit den Fristen, den Empfängern, ihrem Umfang und möglichen Ausnahmen zu veröffentlichen. Diese Verpflichtung erstreckt sich nicht auf ad hoc Sperrfristen aufgrund bestimmter Transaktionen oder anderer besonderer Umstände. Darüber hinaus ist es grundsätzlich möglich, auf die Veröffentlichung dieser Informationen zu verzichten, obwohl es mir schwer fällt, mir Gründe für eine Ausnahme nach dem „comply or explain“ des Art. 7 DCG vorzustellen.
Fazit
Die Revision des Rechts der Ad-hoc-Publizität ist nicht revolutionär. Insgesamt formalisiert sie die Prozesse : Sowohl für die Entscheidung, eine Ad-hoc-Mitteilung vorzunehmen und als solche zu klassifizieren, als auch für die Entscheidung, eine Veröffentlichung zu verschieben, erwartet das neue Recht, dass die Emittenten interne Regeln und klare Prozesse einführen. Im Grunde markiert sie einen wichtigen Wendepunkt, aber in Wirklichkeit handelt es sich eher um eine Angleichung an das europäische Marktmissbrauchsrecht und damit indirekt um eine Annäherung an das Insiderrecht. Es ist daher zu erwarten, dass diese Revision Auswirkungen auf diesen zweiten Bereich haben wird, der jedoch nicht in die Zuständigkeit der Börse oder der SIX Exchange Regulation, sondern der FINMA und der Bundesstrafbehörden fällt.