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Luxleaks

Meinungsfreiheit eines Whistleblowers aufgrund seiner strafrechtlichen Verurteilung verletzt

(Übersetzt von DeepL)

Kann einem Angestellten, der den Medien durch das Berufsgeheimnis geschützte Dokumente über die Steuerpraktiken multinationaler Konzerne offenlegt, der Status eines Whistleblowers zuerkannt werden und er somit den vollen Schutz von Art. 10 EMRK genießen ? Ja, antwortet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der zu dem Schluss kommt, dass die luxemburgischen Behörden gegen diese Bestimmung verstoßen haben, in der Rechtssache Halet gegen. Luxemburg vom 14. Februar 2023 (Nr. 21884/18).

Zwischen 2012 und 2014 werden in verschiedenen Medien mehrere hundert Steuerreskripte und Steuererklärungen veröffentlicht, die sehr vorteilhafte Steuervereinbarungen zwischen einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Auftrag multinationaler Unternehmen und der luxemburgischen Steuerverwaltung aufdecken (Luxleaks). Eine erste von der Firma durchgeführte interne Untersuchung ergibt, dass ein damaliger Angestellter einem Journalisten 45.000 Seiten vertrauliche Dokumente, darunter 20.000 Seiten Steuerunterlagen, übergeben hat. Eine zweite interne Untersuchung – ebenfalls durch das Unternehmen – ergab, dass ein anderer damaliger Angestellter, Herr Raphaël Halet (der ehemalige Angestellte), wiederum vertrauliche Dokumente an denselben Journalisten weitergegeben hatte. Diese zusätzlichen Dokumente bestanden aus vierzehn Steuererklärungen multinationaler Unternehmen und zwei begleitenden Schreiben, die er an seinem Arbeitsplatz erhalten hatte.

Nachdem er von seinem Arbeitgeber entlassen worden war, wurde der ehemalige Angestellte strafrechtlich verfolgt und in der Berufung zur Zahlung einer Geldstrafe von EUR 1’000 verurteilt. Nachdem seine Kassationsbeschwerde abgewiesen wurde, rief der ehemalige Arbeitnehmer den Gerichtshof an und machte eine Verletzung seines Rechts auf freie Meinungsäusserung geltend. Nachdem der Gerichtshof festgestellt hat, dass Art. 10 EMRK nicht verletzt wurde, beantragt der Ex-Angestellte die Verweisung des Falles an die Grosse Kammer.

Der Gerichtshof erinnert daran, dass der Begriff des Whistleblowers bis heute nicht Gegenstand einer eindeutigen rechtlichen Definition ist. Um festzustellen, ob (und in welchem Umfang) der ehemalige Arbeitnehmer den Schutz von Whistleblowern gemäß Art. 10 EMRK in Anspruch nehmen kann, beschließt er daher, die Kriterien anzuwenden, die in einem früheren Urteil (Guja gegen Moldawien, Nr. 14277/04) über die Weitergabe von vertraulichen Informationen, die im Rahmen einer beruflichen Beziehung erlangt wurden, entwickelt wurden. Dabei stellt er fest, dass im vorliegenden Fall die Nutzung der Medien angesichts der Art der offengelegten Informationen (übliche und legale Tätigkeiten des Arbeitgebers) zulässig war, dass die übermittelten Dokumente authentisch waren, dass der ehemalige Arbeitnehmer in gutem Glauben handelte und dass die offengelegten Informationen ein neues und wichtiges Licht im Kontext der Debatte über „Steuervermeidung, Steuerentlastung und Steuerflucht“ warfen. In Bezug auf den letzten Punkt ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die enthüllten Informationen unbestreitbar von öffentlichem Interesse sind.

Abgesehen von dem Reputations- und finanziellen Schaden, der dem Arbeitgeber entstanden ist, räumt der Gerichtshof ein, dass die strittige Offenlegung zwar um den Preis eines Datendiebstahls und der Verletzung des Berufsgeheimnisses, an das der ehemalige Arbeitnehmer gebunden war, erfolgte. Angesichts der Bedeutung der Debatte über die Steuerpraktiken multinationaler Unternehmen sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene ist sie jedoch der Ansicht, dass das öffentliche Interesse an der Veröffentlichung der fraglichen Informationen die Gesamtheit der sich daraus ergebenden schädlichen Auswirkungen überwiegt. Unter Berücksichtigung der abschreckenden Wirkung, die sich aus der Kumulierung der gegen den Arbeitnehmer verhängten Sanktionen (Entlassung und strafrechtliche Verurteilung) ergibt, hält der Gerichtshof die strafrechtliche Verurteilung für unverhältnismäßig.

Auf der Grundlage aller oben genannten Elemente kommt der Gerichtshof mehrheitlich (zwölf zu fünf Stimmen) zu dem Schluss, dass Art. 10 EMRK verletzt wurde.

In der Schweiz lehnte das Parlament im Jahr 2020 den Gesetzesentwurf zum Schutz von Whistleblowern nach mehr als 15 Jahren gesetzgeberischer Bemühungen ab. Somit bleibt der Status quo im Schweizer Recht bestehen : In Whistleblowing-Fällen ist es Aufgabe der Zivilgerichte, die Interessen abzuwägen und gegebenenfalls zu entscheiden, ob das Whistleblowing durch den Arbeitnehmer dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. In dieser Hinsicht wendet das Bundesgericht eine Kaskadenmethode an : Grundsätzlich muss sich der Arbeitnehmer zuerst an seinen Arbeitgeber wenden, dann an eine Behörde und schliesslich als letztes Mittel an die Öffentlichkeit (z.B. über die Medien), wenn die Umstände dies rechtfertigen (vgl. BGE 127 III 310). Ein ähnlicher Ansatz findet sich im Strafrecht : Die Zulassung der Wahrung berechtigter Interessen als Rechtfertigungstatbestand, der den Whistleblower von jeglicher strafrechtlicher Sanktion befreit, setzt insbesondere voraus, dass die externe Meldung zur Erreichung des angestrebten Ziels notwendig und das einzige Mittel zur Erreichung dieses Ziels ist (Grundsatz der Verhältnismässigkeit).

Die Umstände, die eine direkte Meldung an die zuständige Behörde und erst recht an die Öffentlichkeit zulässig machen würden, wurden jedoch von der Schweizer Rechtsprechung nicht näher erläutert. Unter diesem Gesichtspunkt ist das hier besprochene Urteil insofern von Interesse, als es einen Fall der direkten Ansprache der Medien illustriert, der vom Gerichtshof mit der Begründung zugelassen wurde, dass es sich um Praktiken handelte, die sich auf die üblichen Tätigkeiten des Arbeitgebers bezogen und an sich nicht illegal waren. Es ist daher anzunehmen, dass dieses Urteil die Anwendung der Kaskadenmethode präzisieren und sogar abschwächen kann, wenn, wie im vorliegenden Fall, nur die direkte Nutzung der Medien ein wirksames Mittel zur Warnung darstellen kann. Insgesamt unterstreicht das Ergebnis des Gerichtshofs die Unsicherheit, die der Interessenabwägung innewohnt, und sollte daher die Schweizer Gerichte in ihrem fallweisen Ansatz bestärken.